VHS Henstedt-Ulzburg

Unterwegs in der Modellregion Kreis Nordfriesland

Unterwegs in der Modellregion Kreis Nordfriesland

(Autorin: Mirja Kahle)

Februar 2020

Endlich wieder Februar, endlich wieder Reisemesse in Hamburg und damit Gelegenheit, quasi vor der Haustür ferne Länder zu besuchen. Die Messehallen füllen sich, Massen von Menschen sind unterwegs und lassen sich zu ihren neuen Traum-Urlaubszielen beraten. Mein Mann und ich haben nächstes Jahr Silberhochzeit und möchten etwas Besonderes erleben, eine Safari vielleicht? Oder die Seidenstraße? Wir nehmen unsere Träume in Papierform mit nach Hause…

November 2020

Deutschland ist im zweiten Corona-Lockdown. Die Pandemie zwingt alles und jeden in die Knie. Unsere Reiseträume liegen jetzt im Keller, ein Stapel bunter Kataloge aus einer anderen Zeit. Zwar sind Fernreisen nicht grundsätzlich unmöglich, aber momentan nicht zu verantworten. Dann halt nicht in 2021, es gibt auch andere schöne Ziele. Vielleicht ist es keine schlechte Idee, erstmal im eigenen Bundesland zu bleiben, bis sich alles zurecht ruckelt.

Wir buchen kurzerhand ein Zimmer in unserem Lieblingshotel auf Föhr. Ein paar Tage Ende April, das muss einfach klappen!

 

März 2021

Die Tage werden länger und die Corona-Uhr tickt. Die Osterferien enden Mitte April; danach sollen neue Lockerungen stattfinden. Sind die Hotels und Ferienwohnungen im eigenen Bundesland dabei? Immerhin dürfen die Menschen nach Malle fliegen…

Interessant ist der Ansatz der wissenschaftlich begleiteten Modellregionen. Die nordfriesischen Inseln setzen schon länger auf die Luca-App zur Kontaktnachverfolgung. Bestimmt wird sich der Kreis bewerben?

 

Freitag, 9.4.2021

Es ist offiziell – der Kreis Nordfriesland ist als Modellregion ausgewählt worden! Nach der ersten Freude folgte aber gleich die Ernüchterung, denn Start ist erst am 1. Mai. Damit ist unsere Buchung für Ende des Monats hinfällig. Schade, ich wäre so gerne ein paar Tage aus der Alltagsmühle herausgekommen, trotz der avisierten Eiseskälte…

 

Montag, 12.4.2021

Glück gehabt! Es gab tatsächlich noch eine Lücke im Buchungskalender und die Fähre hatte auch noch Platz! Jetzt geht es hoffentlich in der Himmelfahrtswoche wissenschaftlich begleitet in die Friesische Karibik! Fernreisen ganz nah…

 

Montag, 26.4.2021

Wir haben elektronische Post von unserem Hotel mit Informationen erhalten, wie das Modell „Urlaub auf Föhr“ umgesetzt werden soll. Da wir noch nicht geimpft sind, müssen wir bei Anreise einen negativen Test vorlegen, der nicht älter als 48 Stunden ist. Nach Anreise müssen wir uns alle 48 Stunden erneut testen lassen, für die Nutzung der Gastronomie auf der Insel sogar alle 24 Stunden. Von unserem Hotel bekommen wir einen QR Code, mit dem das Testen an mehreren Orten auf der Insel ohne Termin kostenfrei möglich ist.

Sicherlich sind das Einschränkungen gegenüber einem „normalen“ Urlaub, wie wir ihn aus längst vergangenen Zeiten kennen, aber mit dieser neuen Normalität kann ich gut leben.

Deshalb habe ich auch gleich für uns zwei einen Termin im Testzentrum im Kirchweg reserviert, damit ist schon einmal unsere Anreise einen Schritt weiter gesichert!

 

Dienstag, 4.5.2021

Draußen stürmt und regnet es. Aber der Wetterbericht prognostiziert ein Ende des Winters im Frühling – endlich! Und pünktlich zum Wochenende! Juhu – friesische Karibik – wir kommen!

 

Sonntag, 9.5.2021

Bei strahlendem Sonnenschein auf Minikreuzfahrt – Herz, was willst du mehr…

Gestern haben wir uns hier in HU noch testen lassen und fahren jetzt auf der Norderaue von Dagebüll nach Wyk. Wir hätten die Möglichkeit, die ganze Zeit im Auto zu bleiben, wollen aber die Zeit gerne in der Sonne an Deck verbringen. Beim Verlassen des Autodecks checken wir uns wie selbstverständlich über die Luca App ein. Die Fähre ist nicht voll – obwohl die Aufenthaltsbereiche innen gesperrt (und die Gastronomie geschlossen) sind, verlaufen sich die Passagiere an Deck.

Da wir Glück hatten und gerade eben noch eine frühere als die gebuchte Fähre erwischt hatten, nutzen wir die gewonnene Zeit und schlendern noch in Wyk zum Strand. Einmal die Füße ins Wasser und dann barfuß hoch zur Promenade, wo in einem Café, draußen in der ersten Strandreihe, ein Tisch frei ist. Wir zücken wieder das Handy (bald behalten wir es gleich in der Hand, nicht nur für die Fotos) und checken uns über Luca ein – ganz einfach! Hier in der Außengastronomie müssen wir unseren negativen Test nicht zeigen; das ist nur für Innenräume nötig, erfahren wir später –  die wollen wir aber gar nicht nutzen. Einmal Waffel mit heißen Kirschen und Friesentee, bitte – es sind oft die kleinen Dinge, die glücklich machen!

Später beim Check-in in unserem kleinen Hotel zeigen wir dann die erforderlichen Tests vor. Ein weiteres Mal müssen wir uns während unseres Aufenthaltes testen lassen, da unsere Gastgeberin den Behörden gegenüber den entsprechenden Nachweis führen muss. Weitere Tests wären die Kür. Innerhalb kürzester Zeit sind auf der Insel 30 Test-„Zentren“  hochgezogen worden. Damit ist es jedem quasi jederzeit und praktisch überall möglich, sich eben mal ohne lange Wartezeit testen zu lassen. Auf Nachfrage erfahren wir, dass die Tests selbst vom Bund bezahlt werden, die Infrastruktur vom Kreis Nordfriesland.

Eine erste kleine Radtour zum Strand in Utersum fällt leider recht kurz aus. Regen zieht auf, und dann wird ein Spaziergang über den Friedhof von Süderende mit den vielen alten Grabsteinen, die Lebensgeschichten und Abenteuer aus einer vergangenen Zeit erzählen, schnell makaber.

Abendessen gibt es – nur für Hausgäste – punkt 19 Uhr in der kleinen Gaststube. Wann bin ich zum letzten Mal Essen gegangen? Die Tische wurden auseinander und in mehrere Räume gerückt, um den vorgeschriebenen Abstand zu halten. Eingecheckt wird, da es eine Gastronomie ist, wieder mit der Luca App. Nur der 24stündige Testnachweis entfällt, da wir Hotelgäste sind. Irgendwie unschlüssig, aber wir alle wollen, dass die Modellregion Erfolg hat, und stellen keine Fragen.

 

Montag, 10.5.2021

In Corona-Zeiten wird das Frühstück am Tisch serviert und nicht als Buffet. Wir können damit leben, gibt es doch trotzdem die volle Auswahl nach Wunsch. Nur ein bisschen Geduld ist erforderlich, da Chefin und Chef alles alleine wuppen…

In Oldsum wird heute von 10 bis 11 Uhr getestet, friesisch gemütlich ohne Anmeldung wegen fehlendem Internet mit einer Schafslänge Abstand zum Vordermann im alten Spritzenhaus gegenüber von Nr. 125 – ganz einfach zu finden. Ein paar Minuten warten, und schon haben wir unseren Pflichttest negativ zertifiziert und können positiv in den Tag starten. Einen Bonbon zur Belohnung gibt es auch!

Mit dem Rad geht’s erstmal hoch an den Deich, vorbei an einem der vielen Luxus-Neubauten, die die Preise auf der Insel – sorry – versauen. Ich habe das Haus gerade auf Immoscout gefunden: Fast 2 Mio Euro werden aufgerufen für einen Ferientraum unter Reet im Irgendwo. Schon die Sylter wissen nicht, wo man auf der Insel noch bezahlbar wohnen kann. Die Föhrer bald auch nicht mehr…

An der Nordsee kommt der Wind meistens aus West. Klar. Außer heute früh. Da kommt er, wie sollte es anders sein, von vorne. Frühstücksfit negativ und voll motiviert treten wir in die Pedale unseres gottseidank motorisierten Zweirads und fahren mit dem nichtvorhandenen Westwind im Rücken zwischen holi-bunten Schafen und ihren Hinterlassenschaften immer am Deich und den Salzwiesen entlang nach Wyk. Das Zentrum lassen wir heute aus und treiben kreuz und quer die Nebenstraßen entlang Richtung Südstrand. Kurz hinter dem Flugplatz ist es wieder möglich, am Strand mit den Rädern zu fahren, erst auf schiefer Ebene über den Deich, später über den Bohlenweg durch wunderschöne Dünen hindurch und am einzigen Weingut  von Föhr (Waalem) vorbei nach Nieblum hinein.


Nieblum ist ein wunderschöner Ort und leider im Gegensatz zu anderen, vielleicht kleineren, wunderschönen Orten auf Föhr ziemlich voll mit Fußgängern, Radfahrern, noch mehr Radfahrern und Autos aus Hamburg (nichts gegen Hamburger, aber das fällt auf!). Pause! Wir freuen uns über einen Nischentisch im Hof der Föhrer Teestube und eine frische Waffel mit leckerem Zimteis. Natürlich haben wir uns wieder über die Luca App eingecheckt, alles schon Routine! Und weiter geht’s, wieder runter ans Wasser zum Surfstrand. Eine witzige Ecke ist das hier, völlig anders als das gestylte Nieblum. Wohnmobile mit der ganzen Garage voller Surfequipment, Surfkleidung und Zubehör zum Verkauf in einem ausrangierten Wohnwagen, ein Kiosk im Holzverschlag mit Kisten und Surfbrettern zum Sitzen und daneben die Surfschule.

Südlich von Witsum mündet die Godel ins Meer. Die Godel ist ein 1-Kilometer langer Bach, der aus dem Zusammenfluss einiger Süßwasserpriele entsteht. Bei Ebbe fließt das Wasser Richtung Nordsee, bei Flut dringt Meerwasser ein und vermischt sich mit dem Süßwasser zu Brackwasser. So ist ein einzigartiges Biotop entstanden, in dem viele, auch vom Aussterben bedrohte Seevögel wie die Zwergseeschwalbe, brüten. Am Strand ist der gesamte Bereich für Fußgänger abgesperrt, und bei Flut, wenn am Strand die Rastplätze schrumpfen, ist die Salzwiese ein Eldorado für Vogelbeobachter.

Ein Stück die Traumstraße (ja, so heißt die südlichste Ost-West-Verbindung mit Blick auf die Perlenschnur der Halligen) entlang und man ist wieder in Utersum. Hohe Dünen säumen hier die Küste, von wo aus die Nordspitze Amrums nur zwei Kilometer Luftlinie entfernt und zum Greifen nah ist. Und endlich kommt auch der Wind wieder, wie er soll, aus West!

Föhr ist die größte echte deutsche Insel ohne Landverbindung. Nach 48 Kilometern haben wir die Umrundung geschafft!

 

Dienstag, 11.5.2021

Heute früh ist keine Sonne zu sehen und der Wetterbericht kündigt auch nichts Schönes an. Kurzentschlossen rufen wir im Museum Kunst der Westküste in Alkersum an und ergattern ein Zeitfenster für einen Besuch ab 12 Uhr. Vorher fahren wir noch schnell nach Wyk zum Testen – den Termin haben wir ja, und wir benötigen einen aktuellen negativen Test als Eintrittskarte (neben der Luca-App) ins Museum. Im Gegensatz zu gestern, wo wir die obligatorische Viertelstunde warteten, können wir uns direkt nach dem Test zum Bummel in die Stadt aufmachen. Das Ergebnis erhalten wir nach 20 Minuten per E-Mail.

Das Museum wurde 2009 von einer alteingesessenen Föhrer Familie gestiftet. Bereits im vorigen Jahrhundert waren in dem ehemaligen Gasthaus, in dem sich nun das Kunstmuseum befindet, Künstler aus Deutschland und Dänemark untergebracht. Heute wird dort Kunst aus den Ländern Deutschland, Dänemark, Norwegen und den Niederlanden zu den Themen Meer und Küste gesammelt, erforscht und vermittelt. Die Ausstellung ist nicht groß, aber interessant. Und durch die geringeren Besucherzahlen macht es Malerei und Fotografie erlebbar. Im Gespräch mit einer der Kuratorinnen erfahren wir so von ihrem Atelier-Besuch bei dem Hamburger Künstler Jochen Hein und seiner speziellen Art der Malerei.

Quasi neben dem Museum gibt es einen sehr netten Hofladen, der Selbstgemachtes, Föhrer Inselkäse und Kuscheliges aus Schafswolle verkauft. Im kleinen Café genießen wir im Strandkorb sitzend, nach dem obligatorischen Einchecken mit der Luca App, Flammkuchen mit Inselkäse und ein kleines Indian Pale Lager vom Biar-Brauhüs, auf der Insel in Borgsum gebraut.

Für ein bisschen Bewegung fahren wir schließlich noch einmal nach Utersum, bummeln am Strand entlang und beobachten Stand-Up-Paddler, Vögel, Wolken und Meer…

 

Mittwoch, 12.5.2021

Die Zeit fliegt am Schnellsten, wenn es am Schönsten ist…

Nach dem Auschecken fahren wir zum Parkplatz nach Dunsum, um von dort aus über den Deich noch einmal ins Sandwatt zwischen Föhr und Sylt  zu gehen. Vorletztes Jahr haben wir dort mit dem Urgestein Heinz-Jürgen Fischer eine Tour zum Kormoransand und den Seehundbänken gemacht, 10 Kilometer Wanderung mitten im Meer. Heinz-Jürgen Fischer wird in 3 Jahren 90 Jahre alt. Selbstverständlich bietet die Insel Föhr auch dieses Jahr wieder regelmäßig lohnenswerte naturkundliche Exkursionen mit ihm an!

Wir trauen uns dieses Mal und alleine nicht so weit hinaus. Ebbe war schon vor eineinhalb Stunden, gestern war Neumond, wir haben Westwind und vor den Stufen hinab ins Watt verläuft ein Priel. So schlendern wir durch das knöcheltiefe Wasser und über Wattflächen auf einer ganz besonderen Safari in der Welt der „Small Five“.

Heute lassen wir uns treiben. Ganz bewusst haben wir erst eine späte Fähre für die Rückfahrt gebucht – wir sind nur drei Nächte hier und morgen ist Feiertag. Noch einmal wollen wir zu den Vögeln an der Godel. Aber die anfänglich noch scheinende Sonne trocknet mit Kraft die nassen Böden und starker Seenebel zieht auf. Schon ist Amrum nicht einmal mehr als Silhouette zu sehen. Die Austernfischer sind nur noch zu hören. Die Wolken wabern wie Wellen an den Strand. Und es wird eiskalt. Dann doch lieber noch einmal nach Nieblum und statt Fischbrötchen einen heißen Latte und eine warme Waffel!

Und plötzlich ist der Spuk vorbei und die Sonne wieder da! Und so verbringen wir den Rest dieses Nachmittags am Surfstrand von Nieblum, wo das Wasser jetzt wärmer ist als die Luft…

Abends, wieder zu Hause in Henstedt-Ulzburg. Ich fühle mich erholt. Die Vorschriften der Modellregion haben mich nicht gestresst. Im Gegenteil, sie haben mir eine gewisse Sicherheit gegeben. Und durch die schiere Zahl der Testzentren waren nicht nur die Wartezeiten kurz, sondern man hatte überall bei Bedarf die Möglichkeit, einmal kurz den Kopf in den Nacken zu legen. Aufgrund der Vorschriften wusste man, dass auf der Insel jeder einen maximal 48 Stunden alten negativen Test vorweisen konnte. Und alle waren gut drauf, jeder, wirklich jeder war freundlich, wartete geduldig, grüßte, lachte. Die Einheimischen waren froh, dass es nach 6 Monaten Schließung endlich wieder los ging. Und die Gäste waren froh und dankbar, dass sie dort sein konnten. Und alle haben das Ziel, dass das Modell Erfolg hat!

Der Kreis Nordfriesland hat heute entschieden, dass die Modellregion am Sonntag vorzeitig endet und in die neue Landesverordnung überführt wird. Damit ändern sich ein paar Vorschriften – so muss der negative Coronatest für die Unterkünfte nur noch alle 72 Stunden erfolgen. So oder so – das Modell ist ein Erfolg!

Ich bin dankbar, dass wir in diesem Mai auf Föhr sein konnten, dass wir ein paar Tage aus dem Alltag heraus konnten. Nicht viele haben das Glück, was es für mich umso kostbarer macht. Ich habe die Hoffnung, dass wir uns dadurch, dass wir zusammenhalten, rücksichtsvoll sind, anderen mit Respekt begegnen und unseren Egoismus zu Hause lassen, schon bald ein Stück weit „Normalität“ erleben werden. Ich freue mich darauf!