Manipulation = Erziehung

Eigentlich wollte ich euch lediglich das Interview von dem Philosophen und VHS-Mitarbeiter Arno Schöppe zeigen und zwei schöne Geschichten dazu erzählen. Die Geschichten erzähle ich euch auch noch. Arno Schöppes Antworten haben aber ein paar Gedanken in mir ausgelöst, die ich nun los werden möchte.

 

Interview mit Dr. Arno Schöppe

Lina: Herr Schöppe, mögen Sie sich kurz vorstellen.

Arno: Ich bin Pädagoge und Philosoph – promoviert mit einer Dissertation über Immanuel Kant. Außerdem bin ich Regionalhistoriker mit einer regelmäßigen Kolumne „GeDenkzettel“ im Wedel-Schulauer-Tageblatt und wohne im selbigen Ort.

 

Lina: Was genau bedeutet „Manipulation“? Ist klassische Werbung Manipulation?

Arno: Manipulation ist die beabsichtigte Veränderung der Kommunikationswelt von Menschen. Meist ist die Intention des Akteurs negativ bewertet. Die positiv bewertete Variante heißt Erziehung. Häufig setzen wir die Bewertung in Gang mit der Unterscheidung von Zwang versus Freiwilligkeit. Da die Absicht von Werbung zumeist verdeckt gehandhabt wird, stellen wir die Werbung generell unter Manipulationsverdacht.

 

Erziehung ist Manipulation

Lina: Also, wenn ich das richtig verstanden habe, kann Manipulation sowohl negativ als auch positiv sein. Wir Menschen bewerten etwas, dass unter Zwang geschieht negativ. Das würde bedeuten, dass Werbung zwar Manipulation ist, da es eine Veränderung „der Kommunikationswelt“ ist. Da ich aber trotzdem frei entscheiden kann, ob ich ein beworbenes Produkt kaufen möchte oder nicht, geschieht kein Zwang.

Nun bin ich allerdings fast schockiert, dass positive Manipulation Erziehung bedeutet oder, dass Erziehung positive Manipulation ist. Dass Manipulation wertfrei zu betrachten ist, haben wir gerade erörtert, als etwas Gutes würde ich es in der Erziehung aber nicht sehen. Ist es nicht genau, wie bei einer Werbung? Ich manipuliere ein Kind, damit es das tut, was ich möchte. Bei einem Werbespot, soll der/die Betrachter/in zu einem Kauf gezwungen werden. Das geschieht indirekt, weswegen es nicht als Zwang angesehen wird. Ein Kind wird aber auch indirekt zu einer Handlung gezwungen. Und Zwang ist für mich etwas Negatives. Das Ziel der Manipulation bei Kindern ist sicherlich immer ein Gutes, trotzdem ist die Handlung keine freiwillige. An diesem Punkt wäre es sicherlich interessant „Erziehung“ und auch die aktuelle Debatte zum Thema „Unerzogen“ und „Beziehung statt Erziehung“ genauer zu beleuchten. Erziehung ist im Großen und Ganzen „ein Begleiten und Lehren von Anderen“, nicht nur von Kindern. Eltern, die „Unerzogen“ leben, gehen davon aus, dass Kinder nicht manipuliert werden sollen, dass sie lediglich begleitet werden müssen.

Auf der anderen Seite frage ich mich nun, ob ich nicht immer manipuliere. Ich kann nicht nicht-kommunizieren, stehe immer und überall in Kommunikation und beeinflusse die Kommunikationswelt ständig. Das bedeutet, ich manipuliere immer.

 

Alle Menschen sind manipulierbar

Lina: Sind alle Menschen manipulierbar und wenn ja warum?

Arno: Es ist zu hoffen, dass alle Menschen manipulierbar sind, andernfalls wären sie nämlich nicht erziehbar.

Lina: Müssen Menschen erzogen werden. Reicht es nicht vielleicht aus, dass sie offen und neugierig sind. Offen für neue Gedankengänge, um Neues zu lernen. Menschen wollen in einer Gemeinschaft, in ihrer Familie leben, geliebt und akzeptiert werden. Sie würden also – auch ohne erzogen und manipuliert zu werden – versuchen, zur Gesellschaft zu gehören. Wenn ich allerdings davon ausgehen, dass ich immer kommuniziere und immer manipuliere, bin ich auch ständig manipulier- und beeinflussbar.

 

Lina: Manipulieren Menschen sich nicht ständig gegenseitig, um ggf. zu gefallen, sich anzupassen oder zu überzeugen?

Arno: Genau dies ist mit der freiwilligen und positiv bewerteten Variante der Veränderung der Kommunikationswelt gemeint.

Lina: Das heißt: Menschen können nicht zusammenleben, ohne sich zu manipulieren. Wenn ich auf einen Menschen treffe, kommuniziere ich unweigerlich und meine aktuelle Kommunikationswelt unterliegt einer Veränderung.

Lina: Wann ist es okay zu manipulieren und wann nicht? In welchen alltäglichen Bereichen werden wir ständig manipuliert?

Arno: Grundsätzlich lässt sich Manipulation nicht vermeiden, weil wir in ständigem Kontakt mit den Angeboten von Kommunikation stehen. Wann Manipulation „OK“ ist, bleibt stets eine ethische Entscheidung. Menschen in hochschätzender, werterhöhender Haltung begegnen zu wollen, ist ein gutes Richtmaß, welches Eltern und Lehrer gegenüber den ihnen anvertrauten Personen zumeist intuitiv handhaben (Hand = (lat.) manus, Kernbegriff der Manipulation). Ein weiteres Maß ist im kategorischen Imperativ enthalten, wonach Menschen nicht als Mittel für die Zwecke eines anderen Menschen missbraucht werden dürfen.

Lina: Manipulation ist also erstens nicht zu vermeiden und zweitens erst einmal wertfrei und nicht wie so oft angenommen, negativ konnotiert.

 

Das Philosopische Café

Lina: Welches Thema werden Sie im kommenden “Philosophischen Café“ behandeln und warum haben Sie sich dafür entschieden?

Arno: Für das kommende Semester sind drei Themen vorgesehen:
– „Wissenschaft. Macht oder Mythos?“ (16.09)
Eifersucht. Ein beherrschbares Gefühl?“ (21.10)
– „Terror. Ein überwindbares Phänomen?“ (11.11)

 

All diese Themen beinhalten existentielle Probleme des modernen Zusammenlebens. Sie enthalten einen tiefgreifenden Wandel unseres Umgangs mit anderen Menschen, einen Wandel unseres politischen Verständnisses und einen Wandel der Wertschätzung gegenüber unserer Umwelt.

Lina: Danke für die spannenden Antworten, neuen Erkenntnisse und Gedankengänge.

 

Vertrauen ohne Angst

Es ist nun schon eine Weile her, dass ich euch ein Geschichte zum Thema „Vertrauen“ versprochen habe. Manipulation hat immer auch etwas mit Vertrauen zu tun. Ich lasse mich eher von jemandem beeinflussen, wenn ich meinem Gegenüber vertraue. Deswegen sind Kinder auch so manipulierbar, Sie vertrauen ihren Eltern und gehe immer erstmal von einem positiven Ziel aus. Auf Grund von unterschiedlichen Erfahrungen haben wir Erwachsenen oft Angst vor negativen Manipulationen und bösen Absichten. Der Grund unserer Angst, ist nicht immer offensichtlich, manchmal berechtigt, aber auch immer wieder unnötig. Ich möchte euch erzählen, dass es sich lohnt, das Positive im Menschen zu sehen und vom Guten auszugehen. Meine Geschichte spielt auf der Hauptinsel Fijis. Seid ihr bereit? Dann nehme ich euch jetzt mit!

 

Allein unter Palmen

2008 war meine Schwester mit einer Freundin in Australien unterwegs – Work & Travel, wie viele junge Menschen das nach dem Schulabschluss machen. Ich war bereits nach meinem Abitur zwei Monaten in Australien und wollte nun gerne Neuseeland kennenlernen. Da die Fiji-Inseln nicht weit davon entfernt sind, besuchten wir einen Freund der Familie auf Savusavu und genossen dort einige Tage das Leben unter Palmen. Von dort ging es auf die Hauptinsel und meine Schwester und ihre Freundin flogen zwei Tage vor mir wieder zurück nach Australien.

Bevor es für mich nach Hamburg ging, verbrachte ich die Tage alleine in der Sonne, am Strand und machte im Grund nicht viel. Von meinem Hostel aus ließ ich mir ein Taxi bestellen und fuhr damit auf eine Halbinsel, auf der es wunderschöne Strände aber auch hässliche Hotel-Hochburgen gab. Ich schlich mich an den Strand eines „Schicki-Micki-Hotels“ und ließ es mir dort mit Cocktails gut gehen. Nach einigen Wochen Backpacker-Leben fühlte sich das ganz schön dekadent an. Vor Anbruch der Dunkelheit, die einen bereits gegen 18 Uhr auf Fiji überrascht, versuchte ich jemanden zu finden, der mir den Taxifahrer rief, der mich bereits hierher brachte – ein Handy hatte ich nicht dabei. Ich sprach ein Pärchen an einem Stand an, die Helikopter-Touren an Touristen verkauften. Der Mann fragte mich, was das Taxi zurück zum Hostel kosten würde. „15 Fiji-Dollar.“, antwortete ich. Er – schätzungsweise um die 30 Jahre, ich 23 – sagte, dass er mich für 10 Dollar fahren würde. Ich willigte ein.

 

Bei einem Fremden ins Auto steigen?

Zusammen gingen wir zu seinem Auto. Ich stieg ein. Der Fahrer sagte mir, dass er noch kurz in einem der Hotels anhalten müsse, in dem sein Cousin arbeitet und fragte mich, ob ich dort noch einen Drink mit ihm nehmen wollte. Ich verneinte und wartete im Fahrzeug. Die Fahrt zurück zu meinem Hostel war nicht lang, aber irgendwie wurde mein Gefühl im Bauch immer mulmiger und ich fragte mich, warum ich nicht 5 Dollar mehr für eine offizielle Taxifahrt investiert hatte. Ich überlegte, was ich machen sollte, wenn er mich nun entführen oder ungefragt anfassen würde. Ich hätte wohl nichts tun können. Im Auto lagen überall Flyer und Informationen über die Helikopter-Flüge rum, irgendwie beruhigte mich das ein wenig. Ich hoffte, dass es ein Firmenfahrzeug wäre und der junge Mann ein ehrlicher Geschäftsmann. Während der Autofahrt fragte er mich einige Male, ob wir noch zusammen Essen gehen oder nicht doch noch einen Drink nehmen wollte. Ich verneinte immer wieder. Ich fand ihn zwar sehr aufdringlich, er kam mir aber nie zu nahe. Trotzdem war ich froh, als ich im Hostel angekommen war. Ich bezahlte die ausgemachte Summe, bedanke mich und stieg aus.

 

Das Gute im Menschen

Die Situation hätte natürlich anders ausgehen können – wie im Grunde immer – ist sie aber eben nicht. Trotzdem weiß ich nicht, ob ich so etwas im Nachhinein noch ein mal tun würde – zumindest nicht alleine oder ohne Handy. Und trotzdem bin ich froh, diese Erfahrung gemacht zu haben. Meine Angst, meine negativen Erwartungen wurden nicht bestätigt und ich wurde bestärkt das Positive zu sehen.

Habt ihr schon mal eine ähnliche Situation erlebt, in der ihr positiv überrascht wurdet? Erzählt mal.

Bis bald
eure Lina

2 Kommentare
    • Lina Samoske sagte:

      Danke für die Blumen – und den Kommentar. Uns interessiert natürlich, was es noch zu sagen gibt. Debatten und gut geführte Diskussionen können doch durchaus bereichernd sein. Ich würde mich über eine Antwort freuen. LG Lina

      Antworten

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