Polygamie: Ein Leben ohne Eifersucht

Liebe

Es kribbelt im Bauch, die Atmung wird flacher, das Herz schlägt schneller, die Hände werden feucht, die Muskeln verspannen, ein Schauer läuft den Rücken hinunter, Schwindel tritt ein, der Boden unter den Füßen wankt. Liebe? Oder Eifersucht? Liebe und Eifersucht gehören zusammen und lösen ein regelrechtes Gefühlschaos aus. Adrenalin schießt in den Köper, im positiven Fall flattern Schmetterlinge im Bauch im Negativen verkrampft und schmerzt der Körper.

Jeder Mensch kennt das Gefühl der Eifersucht. Es ist eine Mischung aus Angst, Machtlosigkeit, Wut, Trauer und Fassungslosigkeit. Die Gefühle entstehen immer dann, wenn eine Zweierbeziehung von außen bedroht scheint. Verliebte empfinden es besonders emotional, aber auch unter Geschwistern innerhalb der Familie und unter Freunden kann das Gefühl entstehen. Woran liegt es, dass wir durchaus mehrere Menschen lieben können, aber Exklusivrechte von Anderen erwarten? Unter Geschwistern und Freunden können wir lernen zu teilen, in Liebesbeziehungen fällt es den Meisten in unserer Gesellschaft schwer. Dabei behaupten viele, dass offene Beziehungen der Schlüssel für ein harmonisches Miteinander ohne Eifersucht wären.

Polygamie. Die Lösung

Die Beziehungswelt ist bunt, es gibt monogame Ehen, Mehrfachehen, polygame Beziehungen und Freundschaften, die intellektuell, aber auch körperlich oder sexuell verbinden. Es ist jedem frei gestellt, wie er leben und lieben möchte. Dabei darf nicht gegen das Gesetz verstoßen werden, ein wenig politisch sind Beziehungen also immer. Im Grunde kann aber jeder die Art von Beziehung führen, die ihm gefällt, ohne sich unfreiwillig anpassen, unterdrücken oder Eifersuchtsdramen zulassen zu müssen.

Wenn meine Beziehungsform ein Label hätte, dann wohl „solo poly“. Aber eigentlich sag ich lieber: Es gibt in meinem Leben mehrere Personen, die ich gern habe bzw. liebe, und mit denen ich gelegentlich Sex habe. {Wobei es sich um romantische Beziehungen und nicht nur um Freundschaften handelt} {…} Die Beziehungen sind alle verschiedenartig, aber gleich wertig. Ich lebe alleine, bin gern selbstständig und unabhängig, – aber eben trotzdem verliebt und für die Menschen da, die mir wichtig sind und mit denen ich einen Teil meines Lebens verbringen möchte.” (Zitat: Sasha)

Offene Beziehungen gehen häufig mit Selbstständigkeit und Unabhängigkeit einher. Denn auch heute noch, hat die Ehe oft den negativen Beigeschmack der untergeordneten Hausfrau. Auch Jean-Paul Sartre* und Simone de Beauvoir** war Gleichberechtigung sehr wichtig, sie wollten sich keinen staatlichen Vorgaben unterwerfen und lehnten die monogame Ehe kategorisch ab. Das Paar ist wohl eines der berühmtesten Vorreiter für das Modell der offenen Beziehung und des Feminismus.

Beziehung als Pakt

Sartre und de Beauvoir schloßen kurz nach ihrem Kennenlernen, im Alter von 21 und 23 Jahren einen Pakt, der ihre Beziehung bis zum Tod von Jean-Paul 1980 aufrecht erhielt. „Sie wollten Liebe – aber ohne Vertrag. Beziehung – aber ohne Einschränkung. Sexualität – aber ohne Besitzergreifen. {…} Die beiden Philosophen sprachen von Freiheit, machten gemeinsame Reisen und politische Kampagnen, pflegten – gemeinsam oder getrennt – parallele Liebesbeziehungen, wohnten nie unter demselben Dach, siezten sich und blieben – dennoch oder, wie de Beauvoir mutmaßte, „gerade deswegen“ – 51 Jahre lang zusammen: von 1929, als sie sich an der Universität kennen lernten, bis zu Sartres Tod.“ (Zitat: TAZ Archiv „Eine gnadenlos offene Beziehung”)

Mit Hilfe dieser Beziehungsidee versucht Dr. Arno Schöppe der VHS herauszufinden, ob dies die Lösung für ein eifersuchtsfreies Leben sei. „Haben Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir den Stein des Weisen entdeckt, als sie ein Leben lang eine sexuell liberale Beziehung pflegten? Sind die Erfahrungen der Kommune 1 in Berlin in den Siebzigern nicht der Beweis für einen Sieg über die Eifersucht?“ (Zitat: Dr. Arno Schöppe).

Was das Paar nicht bedachte, dass zu dieser Art Beziehung auch Dritte gehören würden, Beteiligte, die sich gegebenenfalls verlieben, die Streit und Eifersucht auslösen können, aber auch selbst empfinden. So gaben beide in einem Interview Anfang der siebziger Jahre zu, dass ihr Lebensmodell sehr auf Kosten anderer ging. Einander versprachen sie Offenheit und Ehrlichkeit. Dieser Pakt funktionierte oft aber nicht für die Freundschaften außerhalb ihres Konstruktes.

Eifersucht betrifft jeden

Ziemlich schnell stellte sich heraus, dass die Art der Beziehung der beiden Franzosen die Eifersucht nicht ausschloss. Nachdem Simone de Beauvoir eine Liebesbeziehung mit einer ihrer Schülerinnen eingeht, kommt auch Sartre der Frau kurze Zeit später näher. Das löst bei allen Beteiligten ein Gefühlschaos aus und de Beauvoir beschließt nur noch eine intellektuelle Beziehung mit Sartre zu führen und kommende Liebhaber/innen zu akzeptieren. (Quelle: Wikipedia)

Das klingt für mich so, als wenn das Gefühl der Eifersucht verdrängt wurde und aus diesem Grund „nur“ noch intensive Freundschaft ohne sexuelle Verbindung gepflegt wurde. Es scheint auch so, als wenn Liebe nicht der Hauptgrund für Eifersucht ist. Vielmehr scheint der Sex Auslöser des Gefühlschaos zu sein. Denn der Liebe, der Einzigartigkeit und Innigkeit ihrer intellektuellen Beziehung schienen beide sicher zu sein. Diese war nicht durch die Eifersucht bedroht.

Vielleicht lässt sich der Pakt zwischen Sartre und de Beauvoir eher als Freundschaftspakt beschreiben. Denn „So spielte die Sexualität – oft Dynamit in Liebesbeziehungen – zwischen den beiden nie eine große Rolle. Sartre war ein miserabler Liebhaber und machte auch keinen Hehl daraus (Beauvoir nannte ihn einmal öffentlich “frigide”). Aber intellektuell, literarisch und politisch hatten die beiden einen Herzschlag: Zwei Menschen waren sich begegnet, deren Werk und Leben ohne den anderen nie diese Dimension erreicht hätte.“ (Zitat: Emma „Beauvoir und die Frauen”)

Ein Leben ohne Eifersucht

Andererseits missfällt es de Beauvoir auch, als ihr Verbündeter nach Veröffentlichung seines Romans, immer größere Erfolge bei Frauen feiert – und ihre Eifersucht steigt. Und nicht nur der eigenen, sondern auch der Eifersucht ihres Geliebten, dem US-amerikanischen Schriftsteller Nelson Algren, musste sie sich stellen. Alice Schwarzer traf Simone de Beauvoir regelmäßig und schrieb einmal: „Sicher gab es Komplikationen und tat es manchmal weh, nicht nur den Dritten. Aber so ist das Leben. Und die vielbemitleideten Dritten hatten ja auch die Wahl – niemand zwang sie, auf das Karussell der beiden zu steigen.

Aber Dritte konnte auch für Unmut zwischen de Beauvoir und Sartre sorgen. So traf es de Beauvoir sehr, als Sartre die Amerikanerin Dolores Vanetti heiraten wollte. Diese lehnte den Antrag aber dankend ab.

Die intellektuelle Beziehung der beiden Berühmtheiten also frei von Eifersucht? Keine Spur! Mir drängt sich viel mehr die Frage nach den Auslösern der Eifersucht auf. Warum wird Simone de Beauvoir eifersüchtig, wenn Sartre eine andere Frau heiraten möchte? Ihre einzigartige intellektuelle Beziehung könnte bestehen bleiben. Zumal Simone sowieso nichts von der Ehe hält und sie Jean-Paul nicht heiraten wollte. Hätte de Beauvoir eine gleichwertige Person, mit ähnlichen Ansichten, neben sich geduldet oder muss das Gefühl eines Alleinstellungsmerkmal vorhanden sein, um nicht eifersüchtig zu werden? Benötigen Menschen das Gefühl gebraucht zu werden, noch mehr als sie jemanden brauchen? Reicht das Wissen aus, immer gebraucht zu werden, um nicht eifersüchtig zu sein? Oder gibt es ein Leben ohne Eifersucht überhaupt nicht?

Die perfekte Beziehung

Das berühmt gewordene Paar hatte es nie darauf angelegt, eine Vorbild-Beziehung zu führen. Sie hatten kein Patentrezept und gaben auch keine Ratschläge. Sie versuchten ein Konzept für sich zu finden und wollten lediglich ein gemeinsames und vor allem glückliches Leben führen. Nach reichlich Recherchearbeit bin ich persönlich zu dem Entschluss gekommen, dass das Paar weniger für ein eifersuchtsfreies Leben, als vielmehr für Gleichberechtigung und Bedürfnisorientierung steht. Beide waren offen und ehrlich zueinander, ohne es aber immer auch den Dritten gegenüber zu sein. Sie hatten einen Pakt miteinander, der selbstverständlich nicht zu jedem passt. Nicht in jeder Beziehung sollte ausnahmslos immer die Wahrheit erzählt werden. Die Bedürfnisse beider müssen stets berücksichtig werden.

Kompromisse müssen in jeder Beziehung eingegangen werden. Eigene und die Gefühle der Anderen müssen angenommen und Beziehungsregeln der aktuellen Situation eingepasst werden. Eifersucht kann in meinen Augen keinesfalls ausgeschlossen werden und kann immer entstehen, in jedem Beziehungskonstrukt, auch in offenen Beziehungen.

Eifersucht als Chance

Wie Arno Schöppe schreibt, der Mensch hat es dem Tier voraus, dass er seine Gefühle kontrollieren und managen kann. Das mag bei normaler und mäßiger Eifersucht durchaus der Fall sein. Krankhafte Eifersucht kann aber kaum ohne therapeutische Hilfe kontrolliert werden. Kontrolle sollte nicht mit Unterdrückung verwechselt werden. Gefühle dürfen gelebt und kommuniziert werden, auch die Negativen. So kann milde Eifersucht gegebenenfalls sogar eine Chance für eine Beziehung sein. Zu starke Eifersucht dagegen schadet jeglicher Beziehung. Auslöser dafür sind oft eigene Ängste oder Minderwertigkeitskomplexe. Das wiederum könnte bedeuten, dass auch kleine Eifersüchteleien von nicht genügend Selbstliebe zeugen und die Partner/innen sich nicht ausreichend unterstützen. Selbstliebe ist also eine wichtige Komponente für ein eifersuchtsfreies Leben.

Gibt es ein Leben ohne Eifersucht? Ich würde gerne wissen, wie Dr. Arno Schöppe das sieht. Gibt es eine Lösung, dem unangenehmen Gefühlschaos „Eifersucht“ zu entkommen, wie seht ihr das? Ich persönlich finde ja nicht, dass man Gefühlen entgehen muss, sie annehmen und richtig anwenden finde ich relevant. Ein sehr spannendes Thema. Alle die sich dafür interessieren, sollten am 21.10. in unser „Philosophisches Café“ kommen. Gebt mir doch mal hier in den Kommentaren Feedback, wie es war – wenn ihr da gewesen seid. Ich würde mich freuen!

Eure Lina

 

* Jean-Paul Satre
Jean-Paul Charles Aymard Sartre (* 21. Juni 1905 in Paris; † 15. April 1980 ebenda) war ein französischer Romancier, Dramatiker, Philosoph und Publizist. Er gilt als Vordenker und Hauptvertreter des Existentialismus und als Paradefigur der französischen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts. Seit seinem 25. Lebensjahr war er mit Simone de Beauvoir liiert.

** Simone de Beauvoir
Simone-Lucie-Ernestine-Marie Bertrand de Beauvoir (* 9. Januar 1908 in Paris; † 14. April 1986 ebenda) war eine französische Schriftstellerin, Philosophin und Feministin. Die sich politisch immer wieder engagierende Verfasserin zahlreicher Romane, Erzählungen, Essays und Memoiren gilt als Vertreterin des Existentialismus. Mit ihren beiden existentialistischen Romanen L’Invitée (1943; dt.: Sie kam und blieb) und Le Sang des autres (1945), 1984 von Claude Chabrol als Das Blut der Anderen verfilmt, erlangte Simone de Beauvoir Anerkennung als Schriftstellerin. Der Welterfolg Das andere Geschlecht (1949) gilt als ein Meilenstein der feministischen Literatur und machte sie zur bekanntesten Intellektuellen Frankreichs. Auch ihre Essays gelten als wichtige Beiträge zu dem jeweiligen Fachgebiet.

 

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