Ausflugsziel zu Coronazeiten
(Autorin: Mirja Kahle)
Wenn man von Henstedt-Ulzburg mit dem eigenen Auto in den Süden fahren will, nach – wir wollen einmal träumen – Kroatien, Italien, Südfrankreich oder gar Spanien, dann hat man zwei Möglichkeiten: Durchfahren oder den Weg zum Ziel machen.
Meine Familie gehörte noch nie zu den „Aneinemstückautofahrern“. Gerne haben wir eine, manchmal auch zwei, Zwischenübernachtungen eingeplant. Wir sind gemütlich losgefahren, haben bereits nachmittags stressfrei unser Ziel erreicht und auf diese Weise die eine oder andere Ecke Europas kennengelernt und Geheimtipps entdeckt.
Dinkelsbühl
Einer unserer persönlichen Favoriten ist das wunderschöne Dinkelsbühl. Nicht so groß, nicht so überlaufen wie Rothenburg ob der Tauber, aber mindestens genauso schön – quasi ein Disneyland im echten Leben, inklusive Rundgang mit dem Nachtwächter. 2014 wurde die 12000 Einwohner große Kreisstadt an der Romantischen Straße in Franken vom Magazin Focus im Ranking „Deutschland für Ästheten – Historisches, Kulinarisches, Handwerkliches“ zur schönsten Altstadt Deutschlands gekürt.
Bei unserem letzten Besuch hatten wir vorher nicht richtig in den Kalender geguckt. Die Straßen waren voll, Parkplätze in der Altstadt gesperrt, Menschen strömten und Plakate kündigten sie an: Die Kinderzeche! Wir waren plötzlich mitten drin im zum immateriellen Kulturerbe ernannten historischen Kinder – und Heimatfest der früheren Reichsstadt Dinkelsbühl!
Kinderzeche
„Mancher, der den Namen „Kinderzeche“ zum ersten Mal hört, kann mit diesem Begriff nur wenig anfangen: Was haben Kinder mit ,,zechen“ zu tun?“
Ihre wahrscheinliche Wurzel hat die heutige Dinkelsbühler Kinderzeche im katholischen Chorschulwesen, wie aus einem Briefwechsel von 1475 zu schließen ist. Aus der Belohnung für ihre Dienste entwickelte sich ab 1629 das Zechgeld der katholischen Lateinschüler und ihr Schulauszug zum Ferienbeginn in eine Dorfwirtschaft, nämlich die Katholische Schulzeche.
Eindeutig ist das „Zechgeld“ für Schüler 1629 in einem Rechnungseintrag der katholischen Stipendiatenpflege wie auch in der katholischen Kirchenpflege fassbar. In letzterer heißt es, dass Magister und Kantoren 3 Gulden erhalten, „als sie die Jugend ausgeführt zur Zech“. Eine evangelische Lateinschule war verboten, weil damals der Magistrat rein katholisch war. Erst drei Jahre nach Einführung einer paritätischen, bikonfessionellen Ratsverfassung 1649 konnte eine eigene evangelische Lateinschule eröffnet werden, so dass ab 1654 nun eine Evangelische Kinderzeche stattfand, die nicht nur die Lateinschüler, sondern auch die Kinder der evangelischen Deutschen Schule einbezog. Die Stadtkammer zahlte ab 1666 regelmäßig den Kindern an ihrer jeweiligen Zeche 4 Gulden aus.
Die beiden Schulfeiern wurden bis zum Reichsstadtende 1802 stets konfessionell und zeitlich eine Woche voneinander getrennt abgehalten. Dabei wurde die Katholische Schulzeche zu einem Fest mit Tänzen in der Schule, während sich die Evangelische Kinderzeche als Schulfest zum städtischen Volksfest auf dem Schießwasen ausweitete. Erstmals beschrieben wurde der Kinderauszug samt Festivitäten in einer Reisebeschreibung 1788, bei dem sich die Knaben in Fantasieuniformen kleideten. Nachdem Dinkelsbühl 1806 eine königlich bayerische Landstadt geworden war, zogen sie in bayerischen Landwehruniformen durch die Straßen.
Ab 1848 setzte die Historisierung durch Verknüpfung der Evangelischen Kinderzeche mit den Ereignissen des Jahres 1632, nämlich der kampflosen Übergabe der Stadt am 11. Mai 1632 im Dreißigjährigen Krieg an die Schweden, ein. Die Kinder erhielten „Schwedenuniformen“, der Spruch des Kleinen Obristen wurde gedichtet, in dem eine Kinderschar das Herz des Feindes erweicht. Ab 1865 begannen dann vereinzelt katholische Kinder mitzuziehen. Mit dem Historischen Festspiel von Ludwig Stark 1897, der die Kinderlore als Gegenspielerin des Obristen Sperreuth erdachte, und einem Historischen Umzug wurde aus den einstigen Schülerfeiern ein Heimatfest, bei dem die Schulen weiterhin mit umziehen und mit Tänzen beteiligt sind.
Wer soll diese Kinderlore gewesen sein?
Bei dieser handelt es sich um ein Mädchen, das durch sein mutiges Agieren den Feind milde gestimmt hat.
Die „ehrwürdigen hohen Räte der Stadt Dinkelsbühl“ sind bei der entscheidenden Ratssitzung uneinig darüber gewesen, ob die katholische regierte Stadt (es waren aber tatsächlich höchstens 30 % der Bürger katholisch) den evangelischen Schweden zu überlassen wäre oder ob Widerstand zu leisten sei. Die Ratsherren mussten aber bald erkennen, dass diese Ablehnung aussichtslos war, und waren daraufhin bereit, die Stadt den Schweden nach längerem Widerstand in der Hoffnung auf Schonung zu übergeben.
Einer der schwedischen Unterhändler hatte aus Unachtsamkeit die Bemerkung gemacht, dass der junge Sohn des schwedischen Heerführers kurz zuvor gestorben sei. Dies hatte Lore, die Tochter des städtischen Turmwächters, erfahren, und sie hatte eine Idee: Sie sammelte die Kinder der Stadt um sich.
Als der schwedische Heerführer bei der Übergabe der Stadt ankündigte, diese für ihren Widerstand zu bestrafen, der Plünderung durch seine Soldaten zu überlassen und sie anschließend zu zerstören, zog Lore mit den Kindern vor den Heerführer und bat um Gnade für die Stadt um der Kinder willen. Der Anführer, durch den Tod seines Sohnes noch in Trauer, war daraufhin so gerührt, dass er Dinkelsbühl tatsächlich verschonte.
„Eine Ouvertüre von August Kreß leitet das Festspiel ein. Für die einheimischen Laienspieler ist das Festspiel mehr als ein Theaterstück, es ist ein Bekenntnis zu ihrem geliebten Heimatort.“
Corona
Aufgrund von Corona wurde die diesjährige Kinderzeche, wie so viele andere Veranstaltungen überall auf der Welt, abgesagt. Aber 2021 ist bereits in Planung – wer dabei sein möchte, sollte sich die Woche vom 16. bis 25. Juli schon jetzt rot in seinem Kalender markieren. Die Festwoche wartet mit einem bunten und spektakulären Programm auf, das die mehrmalige Aufführung des Festspiels, Konzerte und Schoppen für die Großen, Spiele und Schwedenlager für die Kleinen, die Öffnung des eigens gebauten Zeughauses und den obligatorischen Rundgang mit dem Nachtwächter “Hört ihr Leut‘ und lasst euch sagen…“ beinhaltet. Vor der mittelalterlichen Kulisse von Dinkelsbühl magisch und eine wahre Zeitreise.
Quelle:
Wikipedia “Kinderzeche” abgefragt 11.06.2020
https://www.kinderzeche.de abgefragt 11.06.2020
Wir waren auf einer Radtour und haben eine Übernachtung in Dinkelsbrühl gehabt. Wunderschöne kleine Stadt mit netten Lokalen,unbedingt sehenswert.Auf jeden Fall sollte man eine abendliche Stadtführung mitmachen. Es war für mich der schönste Ort auf der Radtour ” Romantische Strasse”.
Danke für den Tipp. LG Lina