Die Neuen – eine Geschichte von Morgan Maiosi

Nach dem Gesicht im letzten Blog-Post habe ich heute eine Geschichte von euch – die ein wenig ironisch geslesen werden darf. Viel Spaß beim schmöckern und lasst doch mal eure Meinung für uns da.

 

Die Neuen

„Mama kommt gleich wieder, und dass ihr mir in der Zwischenzeit ja keinen Unsinn macht. Versprecht ihr mir das?“

Die kleinen Schneckenkinder nickten aufgeregt und ihre winzigen Häuschen auf den Rücken wackelten mit. „Steigt nicht zu weit in die Äste! Und huscht geschwind ins Haus, wenn ihr Angst habt.“

Mama geht Papa von der Straße holen, wollte sie noch sagen, aber die Kinder sollten keine schlechte Meinung von ihrem Vater bekommen. Dann glitt sie, vor sich hin mosernd, den alten Eichenstamm hinab, schlängelte sich über armdicke Wurzeln und noch feuchten Blätter. Ja, es hatte in der Nacht kräftig geregnet, der Weg vor den Bäumen war ausreichend nass, um die Männer von überall hierher zu locken. So sehr sie als Schneckin den Regen liebte, fürchtete sie ihn, seit die Neuen hier her gezogen waren. Insbesondere die Frauen.

Unterwegs traf sie ihre Nachbarin Burgi „Auch auf Männerfang?“, fragte diese lachend.  „Du hast gut lachen, wart ab, bis du Kinder hast. Ich weiß nie ob ich heil zurückkehre oder die Kleinen noch vollzählig sind. Sie sind erst vor wenigen Wochen aus den Eiern geschlüpft und schon voller Neugier. Kaum zu bändigen, sag ich dir.“

Die beiden Schneckendamen hatten es eilig, sie wollten ihre Gatten noch erreichen, bevor die großen Menschenfüße über den Weg latschten und ihnen womöglich aufs Dach stiegen. „Wahrscheinlich lauern die Kerle schon die halbe Nacht im Gras, um ja keine zu verpassen“, vermutete Burgi. „Mit Stielaugen“, ergänzte Anita, die Mutterschnecke, verärgert.

„Schämen sollen sie sich, die Weibsbilder. Während wir uns mit unseren Häusern abplagen, laufen sie nackt durch die Welt, ohne dass es ihnen peinlich ist.“ „Auch unsere Schneckenväter soll das Gewissen plagen, wenn sie für die Nackten ihre Familie verlassen. Was kann dabei schon herauskommen? Ein halbfertiges Haus? Oder eines, das zu klein ist um darin zu wohnen, und die Hälfte des Leibes draußen bleiben muss, wenn es stürmt und schneit?“ „Genau!“, bestätigte Burgi.

„Es soll ja auch eine Neue dazugekommen sein. Rassig und rothäutig, und du weißt doch, wie Schne-ckenmänner auf Rothäutige stehen… Lola soll sie heißen, munkelt man.“ „Ja, ich habe auch schon davon gehört. Horst selbst hat es mir gestern erzählt.“ „Was? Freiwillig?“ „Es befanden sich rote Farbspuren an seiner Hausrückwand, und ich habe ihn gefragt, woher sie stammen. Dann erzählte er mir von seinem Auffahrunfall. Er wollte sich bei den Damen einreihen und sie wohl mit einer besonders breiten Schleimspur beindrucken, dabei soll sie ihm hinten ins Haus geglitten sein. Da Horst nicht mehr so flott wie früher ist, schaffte die rote Lola es nicht mehr, rechtzeitig zu bremsen.“

„Das wird ja immer besser. Noch vor Ort werde ich das Gebäude meines Mannes genau unter die Lupe nehmen. Aber was sollen wir tun, Werteste? Seit die Nackten da sind, dreht sich alles nur um sie. Haben Sie eine Idee, wie wir unsere Gatten zurückgewinnen könnten? Ich bin es leid, meinen nach jedem Regen zu suchen.“ „Sicher fühlen sich unsere Männer von der freien Lebensart dieser Damen angezogen. Sie sollen ja auch viel Wert aufs Äußere legen. Vielleicht sollten wir uns auch einen Lippenstift zulegen“, überlegte Burgi mit spitzem Mündchen.

„So weit kommt es noch. Wir sind so wie wir sind. Und ich finde mein Haus schön. Ich bin stolz drauf und brauchte es bisher noch nicht zu renovieren“, sagte Anita und deutete mit ihren Fühlern zum Rücken, auf dem das Eigentum festgemauert thronte. Anschließend rupfte sie ein Vergissmeinnicht aus und klebte es mit ein wenig Schleim auf das Dach. „Das wird meinen Jupp zu mir zurückbringen“, sagte sie mit fester Stimme.

„Und ich habe es satt immer das „mollige Schneckchen“ für Horst zu sein“, fing Burgi plötzlich an zu jammern. „Wenn er mich früher so nannte, fühlte ich mich geschmeichelt, denn wie Sie wissen, galten Rundungen einst als besonders weiblich und attraktiv. Aber sehen sie sich die Damen von der Straße an, rank und schlank schwingen sie ihre schmalen Hüften vor den Augen der Männer. Wo unsereins einen Buckel hat, haben sie eine Taille.“

„Dafür haben sie aber kein Eigenheim wie wir“, verteidigte Anita ihr Aussehen. „Es ist eine andere Zeit, meine Teuerste. Die Schnecken von heute wollen sich nicht mehr mit Immobilien herumschlagen. Besitz ist irgendwann ein Klotz am Bein oder eine Bürde auf dem Rücken, wie bei uns. Wenn man auch so durch Leben kriechen kann: frei, unabhängig und ohne Scham…“

Währenddessen waren sie am Tatort angekommen, Horst und Jupp schnell zu entdecken, da sie von all den Männern, als einziges noch am Platze waren. „Unsere Frauen kommen schon wieder“, hörte Anita ihren Mann rufen. „Wie stehen wir da vor den Damen, wenn sie uns abholen wie dumme Jungs. Komm Horst, lass uns von hier verschwinden, bevor es unangenehm wird.“

Die Schneckenmänner drehten sich mühsam um 180°, dabei ächzten sie wie alte Schiffsplanken im Sturm.
„Na, schaut euch die Opas an“, lästerte die rote Lola. „Und verheiratet sind sie auch, das hätte ich mir denken können… Glauben ernsthaft, wir hätten Interesse an ihnen und ihrem Eigentum. Was sagte ihr dazu, Mädels?“ Die anderen Nacktschnecken zuckten vor Vergnügen mit ihren Fühlern und zeichneten frivole Schleimmuster auf den Boden. Noch von hinten konnte man erkennen, wie die Männer rot anliefen, wenn auch nur teilweise und nicht auf Dauer.

„Ihr werdet unsere Männer nicht schlecht machen, ihr Leichtlebigen. Was wisst ihr schon von der wahren Liebe? Was habt ihr denn vorzuweisen? Lebt in den Tag hinein und stehlt den Leuten Salat aus dem Garten. Pfui, sag ich“, empörte sich Anita. „Ich kann mich den Worten meiner Freundin nur anschließen“, rief Burgi mit erhobenem Haupt. Dann machten sich die Schneckinnen auf den Heimweg.

Jupp und Horst waren noch nahe genug gewesen, um jedes einzelne Wort ihrer Frauen verstanden zu haben und ihre Schneckenherzen schlugen dabei ganz schnell. Wieder drehten sie sich behäbig um, aber diesmal um zu ihrer Liebsten zurückzukehren. Wieder mussten sie an den Nackigen vorbei.

„Das wird hart, Horst“, flüsterte Jupp seinem Kumpel ins Ohr. Noch einmal wurden sie gedemütigt und als Rentner beschimpft. Spät am Abend erreichten sie endlich ihr Zuhause. Unterwegs hatten sie noch ein paar besonders schmackhafte Kräuter und Blümchen für Ihre Ehefrauen gepflückt, um ihnen damit ihre Liebe zu bekunden und auch das anstehende Donnerwetter ein wenig abzumildern.

 

5 Kommentare
  1. Sören Reinecke sagte:

    Hallo Delphine,

    diese Geschichte bzw. Fabel ist ein witzig geschriebener Vergleich von der Autorin Morgan Maiosi und lässt sich gut auf menschliche Begebenheiten übertragen. Zitate sind im folgenden mit “>” gekennzeichnet. Dies entspricht dem Stil einer E-Mail

    > „Mama kommt gleich wieder, und dass ihr mir in der Zwischenzeit ja keinen Unsinn macht. Versprecht ihr mir das?“
    Diese Textpassage spiegelt das Leben einer besorgten Mutter mit Kindern da. Nicht immer kann eine Mutter auf ihre Schützlinge achten und ab einem gewissen Alter der Kinder kann man auch erwarten, Kinder für eine kurze Zeit alleine zu lassen. Es kommt auch oft vor, dass Kinder vor den Fernseher gesetzt werden, ein Tablet in die Hand gedrückt bekommen, nur damit diese abgelenkt werden und nicht stören oder blödsinn anstellen.

    > Mama geht Papa von der Straße holen, wollte sie noch sagen, aber die Kinder sollten keine schlechte Meinung von ihrem Vater bekommen.
    Manche Mütter haben sorgen, eine andere Frau könnte ihren Mann wegschnappen. Leider ist es heutzutage wahr, dass Treue immer weniger Gewicht hat und es so heutzutage wegen interner Spannungen zwischen den Lebenspartner zu Scheidungen oder erst gar nicht zu einer Hochzeit kommt. Heutzutage wird die Bereitschaft sich verbindlich festzulegen immer weniger.

    > „Schämen sollen sie sich, die Weibsbilder. Während wir uns mit unseren Häusern abplagen, laufen sie nackt durch die Welt, ohne dass es ihnen peinlich ist.“
    Ach typische Schmäherei. Hier wird deutlich ein Klischee von lästernden Frauen bedient.

    > „Es soll ja auch eine Neue dazugekommen sein. Rassig und rothäutig, und du weißt doch, wie Schne-ckenmänner auf Rothäutige stehen… Lola soll sie heißen, munkelt man.“
    Auch ein Klischee. Eine potenzielle Rivalin wird ausgemacht und versucht nieder zu machen.

    > Wenn er mich früher so nannte, fühlte ich mich geschmeichelt, denn wie Sie wissen, galten Rundungen einst als besonders weiblich und attraktiv. Aber sehen sie sich die Damen von der Straße an, rank und schlank schwingen sie ihre schmalen Hüften vor den Augen der Männer. Wo unsereins einen Buckel hat, haben sie eine Taille.“
    Anspielung auf den heutigen Trend zu einer möglichst schlanken Figur. Oder auch, dass jüngere Frauen attraktiver aussehen als Ältere.

    > „Dafür haben sie aber kein Eigenheim wie wir“
    Junge Menschen träumen heutzutage von Eigentumswohnungen. Diese sind aber so teuer, so dass man sich diese zu Anfang nicht leisten kann. Stattdessen leben sie sind Mietswohnungen, welche heutzutage auch teuer sind.

    Ich finde, dass diese Fabel in lustiger Form die Verhältnisse unserer Gesellschaft gut rüber bringt. Eine Zeit, in der Treue immer weniger zählt. Ehepartner sich des häufigeren vor Augen ihrer Kinder streiten und dabei versuchen ihren Schützlingen zu sagen, es sei alles gut (Verharmlosung). Eine Zeit in der immer weniger geheiratet wird und sich Partner schneller trennen. Eine Zeit der alleinerziehenden Mütter und Väter. So ist dieser Text eine Veranschaulichung aktueller Verhältnisse und sollte uns alle – besonders Ehepartner, Verlobte und Liebende – zum nachdenken bewegen.

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    • Lina Samoske sagte:

      DANKE für deinen ausführlichen Kommentar. Habe ich ihn denn richtig verstanden? Du stehst der aktuellen, gesellschaftlichen Situation, wie viele Beziehungen geführt werden eher kritisch gegenüber und hoffst, dass diese Geschichte zum Nachdenken und Verändern anregt?

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  2. Sören Reinecke sagte:

    Oh ja. Eventuell habe ich mich auch nicht gut ausgedrückt. Ich bin kein Freund der freien Liebe, kein Freund der Untreue und kein Freund von Scheidungen. Verbindungen sollten bis zum Tod halten. Diese ganze Scheiderei macht nur unglücklich und Kinder geschiedener Eltern leiden am meisten drunter. Treue muss sein und man muss sich aufeinander verlassen können. Immerhin bieten sich Paare auch gegenseitig Sicherheit und Halt.

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